Schlafforscher:innen sprechen von Schlaf als einem „hochdynamischen Vorgang“. Nervenzellen im Gehirn sind im Schlafzustand nahezu ebenso aktiv wie im Wachzustand. Im Körper finden währenddessen lebenswichtige Regenerationsprozesse statt. Bestimmte Körperfunktionen werden heruntergefahren, andere hingegen arbeiten auf Hochtouren: Blutdruck und Puls sinken, Stoffwechselfunktionen und Körpertemperatur werden herabgesetzt, zahlreiche Drüsen sind besonders aktiv und exprimieren Hormone, die unsere Nachtruhe steuern, Körpergewebe wird repariert, Heilungsprozesse laufen ab, Zellen werden mit neuer Energie aus den Fettspeichern versorgt, alte Zellen werden durch neue ersetzt. Auch das Immunsystem ist hochaktiv – Interleukine beispielsweise helfen im Schlaf dabei Entzündungsherde zu beseitigen. Prolaktin, Dopamin und Somatotropin werden ausschließlich nachts ausgeschüttet und regen Immunfunktionen an.
Wer zu wenig oder unergiebig schläft, wird anfällig für Infekte sowie für gestörte Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Funktionen. Schlafmangel kann – ebenso wie zu viel Schlaf – zu erhöhtem Blutdruck und zu Herz-Rhythmus-Störungen führen. Das Risiko für Verkalkung der Herzkranzgefäße ist indes bei Kurzschläfern deutlich höher als bei Langschläfern.
Ein ausreichend langer, tiefer und entspannter Schlaf stabilisiert dauerhaft das Herz-Kreislauf-System, und hält das Hungerhormon Ghrelin und das Sättigungshormon Leptin in Balance. Die Wahrscheinlichkeit übergewichtig zu werden steigt, je weniger wir schlafen, weil mit längerem Wachsein ein erhöhter Spiegel an Stresshormonen (Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol) einhergeht, der zu Heißhungerattacken führt. Die Somatotropinproduktion sorgt für Zellerneuerung und Zellreparatur. Das Kurzzeitgedächtnis (Hippocampus) verarbeitet Informationen und überträgt sie in das Langzeitgedächtnis (Neocortex). Das Gedächtnis für motorisches Lernen (prozedurales Gedächtnis) ist aktiv. Das Lernen von Bewegungsabläufen (Skifahren, Inlineskaten etc.) oder handwerklichen Tätigkeiten passiert also buchstäblich im Schlaf. Hier gilt der Tiefschlaf als besonders wichtig. Der REM-Schlaf oder auch Traumschlaf unterstützt die Bildung neuer Synapsen im Gehirn (Neuroplastizität) und die Neubildung von Gehirnzellen (Neurogenese).
Im Idealfall finden Atmung und Herzschlag im Schlaf in einen bestimmten Rhythmus statt, der einem ganzzahligen Vielfachen entspricht. Auf vier Herzschläge kommt beispielsweise ein Atemzug (Verhältnis 4:1), oder anders ausgedrückt: während das Herz 60 Mal schlägt, wird 15 Mal ein- und ausgeatmet. Dieses Phänomen nennt man Respiratorische Sinusarrhythmie, kurz RSA. Wenngleich der Begriff „Arrhythmie“ etwas Negatives vermuten lässt, ist vielmehr das Gegenteil der Fall: RSA ist ein Jungbrunnen für Körper, Geist und Seele. Wir werden buchstäblich jede Nacht ein bisschen gesünder. Im Spektrogramm Deiner HRV-Messung ist die RSA horizontal ablesbar in einem Bereich von 0,2 bis 0,34 Hz.
Wie leistungsfähig oder stressresistent Du Dich tagsüber fühlst, hängt in hohem Maße davon ab, wie Du geschlafen hast. Je ausgeruhter Du bist, desto besser und schneller kannst Du reagieren und Lösungen für Problemsituationen finden. Wir alle sehen uns im Leben, sei es im Berufsalltag, in der Partnerschaft und Familie oder im Freundeskreis, mit zahlreichen Stressfaktoren konfrontiert. Entspannender und erholsamer Schlaf verringert Stress und erhöht zugleich die Fähigkeit, mit Herausforderungen produktiv umzugehen.
Die Hauptursache für Schlafstörungen sind unbewältigte Stresserlebnisse. Entspannung ist etwas, das Deinem Gehirn die nächtliche Verarbeitung emotionaler Belastungen immens erleichtert.
Gleichzeitig ist die Qualität Deines Schlafes die direkte Folge Deines Tagesablaufs und daher auch eine Frage des Lebensstils. Wenn Du Dich zu wenig bewegst, dem Tageslicht kaum ausgesetzt bist, unausgewogen isst und verlernt hast, Dich zu entspannen, sind über kurz oder lang Einschlaf- oder Durchschlafprobleme vorprogrammiert. Dein psychisch-emotionales Erleben des Tages und die Art Deines Umgangs damit sind letztlich entscheidend für Deine Schlafqualität.
12-Stunden-Arbeitstage, pausenloses Durcharbeiten, innerer wie äußerer Druck, hektisches Essen und Bewegungsarmut können zu chronischer Stressbelastung führen. Im autonomen Nervensystem werden daraufhin der Leistungsnerv Sympathikus und somit das biologische Kampf- oder Flucht-Programm (fight-or-flight) aktiviert. Der Entspannungs- oder Gesundheitsnerv Parasympathikus kann bei chronischem Stress auch nachts nicht mehr hochfahren, und negative Erlebnisse können in der Traumschlafphase nicht länger verarbeitet werden. Probleme bleiben also kumulativ unverarbeitet. Kurz, ein erholsamer Schlaf muss erst wieder über positive Stressbewältigung, körperliche Aktivierung und bewusste Schlafhygiene „trainiert“ werden.
Auch chronischer Schlafmangel, häufig kompensiert durch hohe Mengen an aufputschenden Substanzen (Kaffee, Tee, Medikamente, Alkohol, Drogen), führt zu einer verstärkten Ausschüttung des Stresshormons Cortisol und folglich zu einer Daueraktvierung des Leistungsnervs Sympathikus. In dem Fall bleibt der Cortisol-Spiegel auch abends konstant hoch. Um „runter zu kommen“ ist Bewegung das Mittel der Wahl. Für körperliche Aktivitäten nach langen Arbeitstagen fehlen aber oft Zeit und Muße – der Beginn eines echten Teufelskreises. Denn die Entspannung durch Fernsehen, Genussgifte jeder Art und Medikamente ist nur eine vermeintliche.
Zu den häufigsten Schlafstörungen zählen das obstruktive Schlafapnoe-Syndrom (OSA), das Restless-Legs-Syndrom, primäre und sekundäre Insomnie und Hypersomnien. Gleichermaßen beeinträchtigend, sowohl für die HRV als auch die RSA, ist Diabetes Mellitus Typ 2, eine Erkrankung, die genauso wie Schlafapnoe vorwiegend bei Menschen mit erhöhtem Body-Mass-Index, bei RaucherInnen oder in fortgeschrittenem Alter auftritt. Bei Verdacht auf Schlafapnoe (nächtlicher, sich wiederholender Atemstillstand in Kombination mit Schnarchen) ist es sinnvoll, zusätzlich zu einer HRV-Messung eine Somnografie durchzuführen. Mit einem Diagnosegerät können im Schlaf der Puls, Schnarchgeräusche und Sauerstoffversorgung gemessen werden. Ein Schlafmediziner wertet dann Deine Messung aus. Bei schwerwiegenden Fällen kann ein Screening in einem Schlaflabor vonnöten sein.
Schlafstörungen sind höchst individuell und sollten immer im Zusammenhang mit den jeweiligen bio-psycho-sozialen Lebensumständen betrachtet werden.